Kaitlyn Aurelia Smith: Meißeln an der Wall of Sound
Kaitlyn Aurelia Smith erschafft Klangcollagen, die Farbexplosionen auf einer Leinwand gleichen. Ihre cineastische Musik ist inspiriert von Minimalkomponisten wie Terry Riley und bildenden Künstlern wie Mœbius und Hayao Miyazaki. Den Sound könnte man als Neoklassik oder Ambient bezeichnen, dabei hat Smiths Musik definitiv eine ganz eigene Textur und eine unverwechselbare Palette.
Smith studierte in Berklee und entdeckte Modularsynthese beinah durch Zufall, weil ein Nachbar „irgendwie seit den 1970er Jahren ein paar Buchla-Synthesizer hatte”.
Die regelmäßigen Veröffentlichungen, die beim Imprint Western Vinyl erschienen, führten schließlich zu EARS, ihrem aktuellen Wurf mit dem Label. Als Promo für das Album tourt Smith mit Battles durch Europa und wird im Sommer Animal Collective auf ihrer Tour supporten.
Wir trafen uns mit Kaitlyn Aurelia Smith in ihrem Studio in Los Angeles und sprachen über ihre Reise durch die Welt der Synthesizer, über Komposition und kreatives Schaffen.
Wie gehst du vor, wenn du die Töne deiner Klangpalette zusammenfügst?
Ich versuche, so viele Töne und Klangfarben wie möglich miteinander zu mischen und denke gern und viel über Textur nach. Ich mag es, die Sinne zu vertauschen. Ich stelle mir vor, wie sich ein Sound anfühlen würde, wenn ich ihn berühre und umgekehrt. Wenn mir eine Haptik gefällt, z.B. die eines Tennisschlägers, wie würde sie klingen?
Ich habe gelesen, dass dir die visuellen Arbeiten von Mœbius und Miyazaki als Inspirationsquelle für EARS dienten. Kannst du näher erklären, wie dieser visuelle Einfluss in deine Klangkreationen eingeht?
Die visuellen Arbeiten inspirierten mich zu Welten, die ich vertonen wollte: die Farbtöne, Schattierungen und andere Sinneseindrücke, die beim Betrachen der Bilder entstehen. Ich wollte einen futuristischen Dschungel kreieren.
Wenn du so einen überbordenden Dschungel komponierst, woher weißt du, wann ein Stück fertig ist?
Auf EARS ist das der Moment, in dem meine Stimme und die Bassline dazukommen. Diese beiden Elemente bilden das Fundament für die Kompositionen auf EARS. Ich frage mich auch immer, woher ich weiß, wann ein Stück fertig ist. Vermutlich ist es Intuition, aber auch, wenn ich es nach genügend Pausen wieder anhöre und nichts mehr hinzufügen will.
Das ist wie beim Sprechen. Man denkt doch kaum darüber nach, wo ein Satz aufhören wird. Das ist eher intuitiv. Kommunikation lässt man einfach geschehen. Man hat zwar eine Menge Zeit in das Erlernen der Sprache und in guten Ausdruck investiert, aber darüber denkt man in dem Moment nicht nach.
Was die Herangehensweise an den kreativen Prozess angeht, sehe ich eine Verbindung zu Michelangelo, der mit einem großen Steinblock beginnt und solange meißelt, bis sich etwas zu erkennen gibt. Manchmal beginne ich vom anderen Ende her, aber ich glaube, bei mir wird mehr Kreativität freigesetzt, wenn ich eine Wall of Sound erschaffe, aus der ich etwas herausmeißele.
Wie bleiben bei dir die repetitiven Kompositionselemente interessant?
Ich versuche immer, den Zuhörer mitzudenken und frage mich: „An welcher Stelle wird mir langweilig?” Ich will niemanden ermüden. Dieser Gedanke hält mich davon ab, rein modular zu performen, weil elektronische Musik sehr schnell aus Wiederholungen besteht. Wenn man lauter quantisierte Clocks hat, entlockt man einem modularen Synth manchmal nur schwer das menschliche Element. Das fasziniert mich.
Wie entlockst du den Maschinen dann das menschliche Element?
Indem ich sie wie ein Instrument spiele und unvorhersehbare Bewegungen im Filter habe. Häufig arrangiere ich Noten um. Wenn sich also eine Melodielinie wiederholt, dann nicht mehr als dreimal ohne dass ein neues Element hinzukommt oder das Timing sich ändert.
Ist Drei eine Glückszahl?
Auf dem College hatte ich mal Songwriting-Unterricht bei Paul Simon. Er war es, der zu mir meinte, man will das Gehirn nichts ein drittes Mal hören lassen, weil das Gehirn nach dem dritten Mal irritiert ist. Das versuche ich also zu beachten. Ich halte mich zwar nicht immer daran, aber ich versuche, Kleinigkeiten zu variieren, z.B. den Filter, die Klangfarbe, die Note, den Rhythmus. Man will die Leute ja auf eine Reise mitnehmen.
In den Stücken, die ich gehört habe, schien der Rhythmus aus sich wiederholenden Vokalschnipseln, Tönen und Texturen zu entstehen. Woher stammen diese Sounds?
Jedes Werk ist anders, aber EARS besteht nur aus meiner Stimme, analogen modularen Synthesizern, einem Holzbläserquintett, für das ich komponierte, einer Mbira und Feldaufnahmen, die ich als Grundlage für Granularsynthese verwendete.
Gibt es eine Verbindung zwischen dem Hang zur Sauberkeit und dem Modularsystem? Kannst du mit Hilfe des Modularsystems sozusagen „die Verrückte rauslassen”?
Ja, Kontrolle fordert mich heraus. Ich bewahre gern Kontrolle und Modularsynthese liegt da auf derselben Schiene. Du hast annähernd Kontrolle. Es ist, als ob du auf einem Pferd reitest, weil du die ganze Zeit das Gefühl hast, dass du das Chaos regierst; vor allem was das Tuning und Phasing angeht. Modularsysteme klingen schnell nach verrücktem Noise. Ich habe das Gefühl, sie tun das gern, sie wollen es so.
Wie hast du überhaupt zu dieser Technologie gefunden?
Auf modulare Synths stieß ich durch einen Nachbarn. Ich erzählte ihm von Terry Riley, der mit den größten kompositorischen Einfluss auf mich hatte. Mein Nachbar hatte ein paar Buchla-Synthesizer herumstehen, die er in den 1970ern gekauft hatte und lieh sie mir für ein Jahr. Ich hatte damals keine Ahnung, was ein Buchla war und auch keine Ahnung von modularen Synths. Aber da fuchste ich mich hinein.
Damals hattest du einen musikalischen Background, stimmt’s?
Ja, auch in Tontechnik. Ich habe Komposition, Tontechnik und auch Filmmusik studiert. Aber Klangsynthese lernte ich anders als viele Leute, weil ich zuerst Modularsysteme lernte und mich danach mit Software-Synths beschäftigte.
Wie bindest du Ableton Live in deinen Workflow ein?
Ich performe mit Ableton. Ich verwende es als meinen Hauptmixer und Signalverarbeiter. Ich bearbeite damit meine Stimme und mische vorab jeden einzelnen Ausgangskanal vom Buchla Music Easel. Ich schicke auch MIDI-Daten aus dem Easel, um andere Sounds [in Live] zu triggern.
Wenn du auftrittst, kommen dann die meisten Sounds aus den Hardware-Synths oder stammen sie aus dem Rechner?
Ich bereite viel im Rechner vor. Ich mache einen Premix für alle Signale und bringe alles auf das Level, das ich für den Mix brauche. Außerdem bereite ich Software-Synths vor, die angesteuert werden. Für dieses Album bzw. die Show kommen viele Sounds von der Hardware. Kleine Akzente setze ich mit meinen Vokalsamples und auch die leisen Synths kommen aus Ableton Live. Zusätzlich singe ich in Echtzeit und bearbeite meine Stimme live. Hauptsächlich verwende ich Live als Schaltzentrale und als Signalverarbeiter für meine Stimme.
Du verwendest also zuvor aufgenommene Vokalsamples und bearbeitest deine Stimme zusätzlich auch in Echtzeit?
Ja, beides. Außerdem habe ich 22 verschiedene Harmonien, die ich vom Novation Launchpad abspiele. Es handelt sich um verschiedene Stimmspuren, die meine Stimme in Echtzeit transponieren. Sie laufen parallel und sind an keine Tonart gebunden, deshalb muss ich während des Spielens die Harmonien, die sinnvoll sind, ein- und ausschalten. Damit halse ich mir viel Arbeit auf, z.B. mit dem TC Helicon Harmonizer. Aber durch die Bearbeitung mit Ableton habe ich einen speziellen Sound gefunden, der mir gefällt.
Verfolgst du, was andere machen oder kommt es eher von innen?
Es kommt eher von innen. Auf dem College habe ich vieles gehört, transkribiert und analysiert. Das mache ich heute nur noch, wenn ich etwas wirklich auf mich wirken lassen will. Ich kann etwas nachkomponieren, wenn ich es z.B. für einen Auftrag brauche. Aber wenn ich von meiner eigenen Kreativität ausgehe, fällt es mir schwer, die Dinge in Einklang zu bringen.
Ich höre nicht besonders viel Musik. Wenn ich beeinflusst werden will, dann schon. Ich höre viel afrikanische und Tablamusik. Sachen, die sich nicht in den Kopf hineinbohren, sondern einen eher umspülen. Naturklänge inspirieren mich sehr, d.h. festzustellen, wieviel klanglich vor sich geht, wenn man mal in der Natur still steht. Das ist wohl die größte Quelle für meine Kreativität.
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Interview and Fotos von Michael Walsh.